Aussagen zu Aspekten der Migrationsgeschichte von Bludenz lassen sich aufgrund der Quellenüberlieferung seit der frühen Neuzeit tätigen. Diese war von vielfältigen Migrationsphänomenen geprägt, wenngleich diese nicht den Charakter von Massenbewegungen wie die spätere Amerikaauswanderung oder die Zuwanderung aus dem Trentino hatten. In den vergangenen Jahren haben jedoch neue Studien gezeigt, dass die dauerhafte Emigration aus der Region Bludenz schon im 16. Jahrhundert bedeutende Ausmaße angenommen hatte. Die Vorstellung von der sesshaften bäuerlichen Bevölkerung im vorindustriellen Zeitalter ist durch die moderne Migrationsforschung längst widerlegt. Der Dienst als Söldner zählte am Beginn der Neuzeit zweifellos zu den wichtigsten Formen der Migration. Die Wehrpflicht – womit üblicherweise „nur“ eine Pflicht zur Verteidigung der eigenen, engeren Heimat gemeint war – trat nur im Fall einer Landesverteidigung ein, weshalb alle Kriegsführer darauf angewiesen waren, Söldner anzuwerben. Es wird davon ausgegangen, dass im 16. und 17. Jahrhundert bis zu 10 Prozent der wehrfähigen Männer regelmäßig Solddienste geleistet hatten.

 

Das Phänomen der saisonalen Arbeit in der Fremde taucht ab dem 16. Jahrhundert verstärkt auf, wenngleich die Ziele der Wanderungen aufgrund der nicht allzu üppigen Quellenlage nur schwer näher umrissen werden können. Aufgrund einer Veränderung des Klimas und geänderten Bewirtschaftungsverhältnissen ging der Getreidebau zurück, weshalb vor allem die Bevölkerung in höheren Lagen sich neue Möglichkeiten suchte, ihre Existenz zu sichern. Bei den Wanderungen handelte es sich wohl in beträchtlichem Maße um Binnenwanderungen innerhalb der Grenzen des heutigen Vorarlbergs, doch bot auch die Saisonarbeit über den Sommer willkommene Verdienstmöglichkeiten. Ziel dieser Saisonarbeiter waren das Inntal, Schwaben, die Schweiz und auch weiter entfernte Gegenden, wobei vor allem in der Landwirtschaft gearbeitet wurde. Ein Bericht aus Bludenz beschreibt im Jahre 1625 das Phänomen der heute als „Schwabenkinder“ bekannten jungen Menschen. Die Tatsache, dass laut dieser Quelle jährlich etliche hundert arme Kinder aus den Herrschaften Bludenz (mit Montafon) und Sonnenberg aufgrund von Hunger und Mangel nach Ravensburg auf den Kindermarkt ziehen würden, beweist die Dimension der zeitlich beschränkten Auswanderungen.

 

Von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung der Stadtgemeinde Bludenz (mit den Orten Radin, Bings und Außerbraz) um das Vierfache auf fast 6.000 Personen an. Gleichzeitig konnten zwischen den Jahren 1700 und 1914 insgesamt 350 Personen dokumentiert werden, welche die Stadt in Richtung ausländischer Zielgebiete verlassen haben. Das Auswanderungsverhalten der Bludenzerinnen und Bludenzer unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht vom übrigen Walgau.

Zielgebiete

 

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts fällt vor allem die starke Emigration aus Bludenz ins Saarland und die Region Lothringen auf. Rund zwei Drittel der bis 1814 erfassten Personen ließen sich in diesen Gebieten nieder. Dabei dürfte der Umstand eine Rolle spielen, dass viele der Auswanderer die Herrschaft Bludenz als Herkunftsort angaben, allerdings aus den Talschaften der Umgebung stammten. Relativ viele Bludenzerinnen und Bludenzer ließen sich östlich des Arlbergs nieder – in Ungarn (16) sowie in Böhmen und Mähren (6). Dies steht im Gegensatz zum grundsätzlichen Trend der Auswanderung aus dem Walgau, die primär Richtung Westen gerichtet war.

 

Von Bludenz in die USA

 

Bedingt durch einen Wandel in der Textilindustrie – die Umstellung der Produktion von der Haus- auf die Fabriksindustrie – entwickelte sich Bludenz in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem frühen Zentrum der Vorarlberger Amerikaauswanderung. Die für Männer schlecht bezahlte Fabriksarbeit stellte eine wenig attraktive Alternative dar. Nicht weil es keine Industrie gab, verließen Menschen die Region, sondern gerade weil es sie gab. Insgesamt konnten bis 1914 121 Amerikaauswanderer aus Bludenz dokumentiert werden.

 

 

Zuwanderung

 

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts zählt Vorarlberg zu den wichtigsten Industrieregionen Österreichs. Durch diese Entwicklung wurde auch Bludenz zu einer Stadt, die in besonderem Maße von Arbeitszuwanderung geprägt ist. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mach(t)en die Zuwanderer aus anderen Regionen Österreichs wie auch aus anderen Staaten stets rund 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung aus. In rund 150 Jahren hat die Zuwanderung damit die Sozialstruktur der Stadt maßgeblich geprägt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die saisonale und auch dauerhafte Auswanderung aus der Region sich teilweise mit der Zuwanderung deckte. Besonders aus den Talschaften in der Umgebung von Bludenz spielten diese Emigrationen bis ins 20. Jahrhundert eine nicht unwesentliche Rolle. Bei näherer Betrachtung lassen sich zumindest sechs Phasen der Zuwanderung erkennen, die quantitativ von größerer Bedeutung waren und sind:

 

 - Italienischsprachige Migrantinnen und Migranten, insbesondere aus dem Trentino, von etwa 1870 bis zum Ersten Weltkrieg

- Deutschsprachige Zuwanderung aus den (ehemaligen) Kronländern der Österreich-Ungarischen Monarchie: Diese waren u. a. als Handwerker, Beamte sowie Post- und Bahnbedienstete tätig, nach dem Ersten Weltkrieg auch als Bauarbeiter bei Kraftwerksprojekten in der Region

- Südtiroler Umsiedler nach dem Hitler-Mussolini-Abkommen 1939

- Fremd- und Zwangsarbeiter in der Zeit des Zweiten Weltkrieges (1939-45): Unfreiwillige Migranten, hauptsächlich aus Polen, Frankreich, Jugoslawien und der Ukraine, die bei Kraftwerksbauten, in der Textilindustrie und in der  andwirtschaft zum Arbeitseinsatz verpflichtet wurden.

- Zuwanderung aus Innerösterreich, vor allem der Steiermark und Kärnten, in den 1950er und 1960er Jahren; Tätigkeitsbereiche waren hauptsächlich das Baugewerbe, die Textilindustrie und das Gastgewerbe

- „Gastarbeiter“ aus Ex-Jugoslawien und der Türkei ab den 1960er Jahren, tätig in der Textil- und Metallindustrie, im Baugewerbe und im Fremdenverkehr

 

Alle diese Migrationsphasen haben die Stadtgeschichte in bestimmter Weise geprägt, etwa durch die Entstehung neuer Siedlungen und durch neue Sprachen und Kulturen, die Einzug in das Bludenzer Stadtleben gefunden haben.

 

 

(Text: Christof Thöny)

Abbildung: Südtiroler Siedlung in Bludenz (Stadtarchiv Bludenz)